Vor Kurzem wurde ich von einem Freund gefragt: „Du als Journalist kannst mir doch bestimmt den Unterschied zwischen Ich bin gegangen und Ich ging erklären.“ Und bevor ich eine Antwort geben konnte, behauptete ein anderer allen Ernstes: „Des eine isch schwäbisch und des andere isch hochdeutsch.“ – So ein Quatsch!!!!
Weil es das Präteritum (Ich kam, sah und siegte.) im Schwäbischen und anderen süddeutschen Dialekten nur vom Hilfsverb sein gibt, ist das Perfekt (Ich bin gekommen, habe gesehen und gesiegt.) noch lange kein rein schwäbisches Tempus! Perfekt und Präteritum – beides hat in der deutschen Standardsprache (der Volksmund sagt „Hochdeutsch“) seine Funktion. Den Unterschied sollte ein Journalist in der Tat kennen:
Präteritum (auch „Imperfekt“)
dient dem Schildern und Erzählen:
Es schildert eine Handlung in der Vergangenheit, ohne auf ihren Abschluss oder ein etwaiges Resultat einzugehen.
Oma kochte eine Suppe. / Paul fuhr nach Berlin.
Diese Sätze sind nur die bloße Schilderung des Vorgangs. Ob die Handlung vollendet wurde und es ein Resultat gibt, bleibt offen. Die Suppe könnte noch nicht fertig oder womöglich bereits gegessen sein. Paul war auf dem Weg nach Berlin, ist vielleicht jetzt dort, vielleicht noch nicht, vielleicht auch nicht mehr, vielleicht schon wieder zurück. (Sätze im Präteritum wirken ohne einen weiteren Kontext irgendwie unvollständig, also „imperfekt“.)
Perfekt dient dem Benachrichtigen,
Informieren und Besprechen:
Es hebt darauf ab, dass eine Vergangenheitshandlung vollendet („perfekt“) ist und es ein Resultat gibt, das in der Gegenwart vorliegt bzw. relevant ist.
Oma hat eine Suppe gekocht. / Paul ist nach Berlin gefahren.
Diese Sätze sind keine Schilderungen, sondern vielmehr Nachrichten. Die Suppe ist fertig (Es gibt jetzt etwas zu essen!). Paul befindet sich entweder bereits in Berlin, zumindest aber ist er schon Richtung Berlin abgereist. (Auf jeden Fall ist er jetzt nicht mehr hier.)
Was bedeutet das für Journalisten?
Die allermeisten Zeitungsartikel sind keine Reportagen oder Kommentare, sondern Nachrichtentexte (Berichte und Meldungen). Weil ein Nachrichtentext zuerst von einem Ereignis bzw. dessen Resultat benachrichtigt, bevor er den Hergang bzw. das Zustandekommen schildert, steht die einleitende Nachricht des Artikels nicht im Präteritum, sondern im Perfekt (manchmal auch im Präsens)! Perfekt und Präsens signalisieren dem Leser: Diese Information ist jetzt im Moment des Lesens für dich relevant!
Beispiele:
Einleitende Nachricht im Perfekt: Der VfB Stuttgart hat durch ein 2:2 gegen Freiburg einen Schritt in Richtung Klassenerhalt verpasst.
Weitere Schilderung im Präteritum: Eine 2:0-Pausenführung gaben die Stuttgarter dabei noch aus der Hand. Freiburg verkürzte in der zweiten Halbzeit zunächst per Foulelfmeter und erzielte dann kurz vor Schluss den Ausgleich.
Einleitende Nachricht im Perfekt: Der Gemeinderat hat gestern Abend beschlossen, die Hundesteuer von 60 Euro auf 70 Euro anzuheben.
Weitere Schilderung im Präteritum: Vier von fünf Fraktionen im Rat stimmten für die Erhöhung, die zum 1. Januar in Kraft tritt.
Auch im Passiv einleitende Nachricht im Perfekt: Max Mustermann ist gestern die Landesehrennadel verliehen worden. (Nicht: …wurde … verliehen.)
Weitere Schilderung im Präteritum: Oberbürgermeister Franz Schultes überreichte die Auszeichnung und würdigte Mustermann als umtriebigen Schaffer, der usw. usw.
Einleitende Nachricht im Präsens: Der FC Bayern München ist zum 25. Mal Deutscher Fußball-Meister.
Weitere Schilderung im Präteritum: Weil der VfL Wolfsburg am Sonntag mit 0:1 bei Borussia Mönchengladbach verlor, sind die Bayern in der Tabelle nicht mehr einzuholen.
Der Klassiker, die Unfallmeldung:
Einleitende Nachricht im Perfekt: Auf der Kreuzung Goethestraße/Schillerstraße hat sich gestern Abend ein schwerer Unfall ereignet.
Rückblende im Plusquamperfekt: Ein 40-jähriger Lastwagenfahrer hatte beim Linksabbiegen einen entgegenkommenden Pkw übersehen.
Weiter im Präteritum: Es kam zum Zusammenstoß, bei dem der 25-jährige Fahrer des Pkw schwer verletzt wurde. Laut Polizei entstand dabei ein Sachschaden in Höhe von rund 10.000 Euro.
Wenn die Nachricht nicht im allersten Satz steht, dann wenigstens im ersten Absatz:
Günter Grass war nicht nur ein Schriftsteller, vielleicht der bedeutendste der deutschen Nachkriegsliteratur. Der Nobelpreisträger war auch moralische Instanz und hob seinen Landsleuten immer wieder mahnend den Zeigefinger. Nun ist Günter Grass im Alter von 87 Jahren gestorben.